Geschichte des VSV

Die ersten schweizerischen Volkshochschulen

Bis 1918 organisierten der Arbeiterbildungsverein, kirchliche Organisationen, die Schweizerische Gemeinnützige Gesellschaft sowie verschiedene Frauenvereine Aus- und Weiterbildungen für Erwachsene. Auch die Hochschulen interessierten sich nach dem Vorbild der englischen University Extensions für die Bildung Erwachsener.

1918 entluden sich die sozialen Spannungen in Folge der forcierten Industrialisierung im Schweizerischen Landesstreik vom 12. bis zum 14. November, an dem sich 250’000 ArbeiterInnen und GewerkschafterInnen beteiligten (1).

1919 startete die Universität Basel mit ersten Volkshochschulkursen. Damit begann eine Reform des Bildungssystems, die auf die Integration breiter Bevölkerungsschichten zielte. Ebenfalls 1919 entstand die VHS Bern. 1920 folgte die VHS Zürich. Das Angebot richtete sich an ArbeiterInnen und alle anderen, die bisher keinen Zugang zur universitären Bildung hatten (2). Die neuen Industriegesellschaften benötigten eine besser gebildete Arbeiterschaft, das neue Bürgertum wiederum versuchte, seine kulturelle Dominanz zu festigen.

Vorbilder dieser Entwicklung waren neben den University Extensions universitäre Vortragsreihen in Österreich (3). Die Bildungsbewegung hatte europaweit zum Ziel, das Volk «zu einer harmonischen Einheit zu fügen, zu gemeinsamem Handeln zu bewegen sowie den einzelnen Menschen zu erziehen und ihm seine menschliche Würde zurückzugeben» (4).

Die Schweizer Arbeiterschaft glänzte eher durch Zurückhaltung und beteiligte sich nur in geringem Mass an den Veranstaltungen. Die Teilnehmenden waren stattdessen vor allem Frauen und Männer aus bürgerlichen Verhältnissen.

Die Bewegung der Volkshochschulen war stark von der Arbeiterbildungsbewegung inspiriert. Der Landesstreik trug wesentlich zur Idee bei, Bildung als Brücke zwischen den Klassen zu nutzen.

Die Bewegung der Volkshochschulen war stark von der Arbeiterbildungsbewegung inspiriert. Der Landesstreik trug wesentlich zur Idee bei, Bildung als Brücke zwischen den Klassen zu nutzen.

Der Weg zum Verband

1923 fand die erste schweizerische Volkshochschultagung statt.

1929 präsentierte der Zürcher VHS-Direktor Hermann Weilenmann einen Statutenentwurf für einen nationalen Volkshochschulverband. Dieser stiess auf Skepsis, das Vorhaben wurde vertagt (5).

Ab 1932 publizierte die VHS Zürich die Zeitschrift Volkshochschule. Sie enthielt Fachartikel, das Angebot an Zürcher Kursen, Jahresberichte und ab Beginn des 2. Weltkrieges nationale Nachrichten (6).

1942 präsentierte Hermann Weilenmann der nationalkonservativen Neuen Helvetischen Gesellschaft die Leistungen der VHS. Er verglich die Institution mit den dänischen und norddeutschen Volksbildungsheimen, die sich «zu länger dauernder Zusammenarbeit» vereint hätten (7).

Im selben Jahr veranstalteten die Volkshochschulen eine zweite schweizerische Tagung. Themen waren die Neutralität und die geistige Landesverteidigung. Volkshochschulen sollten «auf die vernünftige und gemeinschaftsbezogene Lebensgestaltung des Einzelnen» abzielen (8). Die Gründung eines Verbands schien in Zeiten der existenziellen Bedrohung unumgänglich.

1943 fand die konstituierende Versammlung des VSV statt. Präsident wurde der Basler VHS-Direktor und Zoologie-Professor Adolf Portmann. Die Geschäftsstelle befand sich in Zürich bei Hermann Weilenmann.

1944 veranstaltete der VSV seine erste ordentliche Mitgliederversammlung in Zürich. 11 Mitglieder waren anwesend. Ende 1944 zählte der Verband 53 Mitglieder (9).

Die erste Verbandspublikation hatte eine bescheidene Aufmachung. Die Worte darin sind jedoch gewichtig: Der Initiant des Verbands, Hermann Weilenmann, erläutert die Bedeutung der Erwachsenenbildung für die Demokratie. Quelle: Weilenmann 1944a

Die erste Verbandspublikation hatte eine bescheidene Aufmachung. Die Worte darin sind jedoch gewichtig: Der Initiant des Verbands, Hermann Weilenmann, erläutert die Bedeutung der Erwachsenenbildung für die Demokratie. Quelle: Weilenmann 1944a.

Kein Verband ohne «offizielles Organ». Das Heft «Volkshochschule» wurde durch den Verein zur Förderung der VHS des Kantons Zürich herausgegeben und enthielt primär Fachartikel, publizierte jedoch auch Verbandsneuigkeiten. Quelle: Weilenmann 1944a, S. 36

Kein Verband ohne «offizielles Organ». Das Heft «Volkshochschule» wurde durch den Verein zur Förderung der VHS des Kantons Zürich herausgegeben und enthielt primär Fachartikel, publizierte jedoch auch Verbandsneuigkeiten. Quelle: Weilenmann 1944a, S. 36.

Die Erwachsenenbildung entwickelt sich

1944 wurde die Migros Klubschule gegründet. Sie bot vor allem Sprachkurse an.

1951 entstand der Schweizerische Verband für Erwachsenenbildung (SVEB). Hermann Weilenmann wurde sein erster Präsident. Zweck des SVEB war die gesellschaftliche Weiterbildung, denn das Leben der Völker und auch des Einzelnen sei vielfältig und kompliziert. Die Demokratie brauche Bürger, die kritisch und selbständig denken (10).

Ab Mitte der 1950er Jahre eroberten die Volkshochschulen auch die ländlichen Regionen der Deutsch- und der Westschweiz. Sie boten unter anderem Kurse in Naturwissenschaften, Religion, Philosophie, Kunst, Musik, Geschichte und Sozialwissenschaften an.

1963 schlossen sich die Tessiner Corsi per Adulti dem VSV an. Seither sind die Volkshochschulen in allen Landesteilen vertreten.

1964 stieg die Zahl der Mitglieder des VSV auf 149.

In den 1960er Jahren nahm die Konkurrenz in der Erwachsenenbildung zu. Die Volkshochschulen und der VSV mussten reagieren und über eine Professionalisierung diskutieren (11).

1974 publizierte der VSV die erste Verbandsstatistik zur Anzahl an besuchten Kursstunden aller Volkshochschulen. 1978 war die Millionengrenze überschritten (12).

1975 veröffentlichte die eidgenössische Expertenkommission unter der Leitung des Nationalrats Gaston Clottu ihren Bericht (13) zur schweizerischen Kulturpolitik. Der Bericht forderte, dass die breite Bevölkerung Zugang zur Allgemeinbildung bekommen sollte, um «die Techniken des kulturellen Ausdrucks zu erwerben und [ihre] Empfindungskraft zu entfalten» (14). Erwachsenenbildung wurde zur kulturpolitischen Aufgabe.

Die VHS habe eine zentrale Funktion in der Demokratie. So die Hauptaussage eines Artikels von Hermann Weilenmann in der Volkszeitung 1948. Quelle: Staatsarchiv Zürich

Die VHS habe eine zentrale Funktion in der Demokratie. So die Hauptaussage eines Artikels von Hermann Weilenmann in der Volkszeitung 1948. Quelle: Staatsarchiv Zürich.

Zertifikate und Computerkurse

Gemeinsam mit dem Deutschen und Österreichischen Volkshochschulverband organisierte der VSV standardisierte Prüfungen in den Bereichen Englisch, Spanisch, Russisch, Mathematik und Elektrotechnik. Der Erfolg war riesig. Sprachdiplome waren besonders beliebt.

KursleiterInnen konnten sich an vom VSV angebotenen Tagungen didaktisch und fachlich weiterbilden (15); der VSV beteiligte sich an der International Certificate Conference (ICC).

1979 ging der VSV mit dem Schweizerischen Radio und Fernsehen (SRF) eine Kooperation ein. Der SRF sendete den Englischkurs Follow-me, die Volkshochschulen boten hierzu Kurse an.

Ab 1984 boten die Volkshochschulen Computerkurse an und lancierten ein Informatikzertifikat. Mehr und mehr Volkshochschulen statteten ihre Räume für Computerkurse aus.

Titelblatt des Jahresberichts 1985/86: In den 1980er-Jahren fanden an den VHS erste Computerkurse statt. Quelle: Archiv VSV

Titelblatt des Jahresberichts 1985/86: In den 1980er-Jahren fanden an den VHS erste Computerkurse statt. Quelle: Archiv VSV.

Ein Bild der Mitgliederversammlung 2002 von Anton Lindgren; bemerkenswert ist die Korrektur in der Legende. Sowohl Anton Lindgren (Präsident VSV 1976 bis 1980 und Direktor der VHS Bern) als auch Robert Schneebeli (Präsident VSV 1983–1992 und Direktor der VHS Zürich) prägten die Schweizer Erwachsenenbildung der 1970er- und 1980er-Jahre. Quelle: Archiv VSV, Schachtel 6

Ein Bild der Mitgliederversammlung 2002 von Anton Lindgren; bemerkenswert ist die Korrektur in der Legende. Sowohl Anton Lindgren (Präsident VSV 1976 bis 1980 und Direktor der VHS Bern) als auch Robert Schneebeli (Präsident VSV 1983–1992 und Direktor der VHS Zürich) prägten die Schweizer Erwachsenenbildung der 1970er- und 1980er-Jahre. Quelle: Archiv VSV, Schachtel 6.

Krisen und Konflikte

Die Existenzberechtigung des VSV wurde von den Mitgliedern immer wieder hinterfragt:

1981 verlangten die Mitglieder, dass der Verband mehr leisten könne. Ein nebenamtlicher Sekretär genüge ihren Ansprüchen nicht. Der VSV stellte daher eine hauptamtliche Sekretärin ein.

1985 verlangten die VHS, dass ihre jeweiligen Besonderheiten vom Verband besser berücksichtigt werden sollten (16).

1992 verzeichneten die VHS über 2 Millionen Teilnehmerstunden. Danach waren die Zahlen rückläufig. Die VHS kritisierten ihren Verband, weil er sie vor diesem Rückgang nicht bewahrt hatte.

Zeitgleich begannen in Europa Diskussionen zur Qualitätssicherung und Ausbildung von ExpertInnen für Sprachzertifikate. Die an einer UNESCO-Weltkonferenz verfasste «Hamburger Deklaration zum Lernen im Erwachsenenalter» bezeichnete die Erwachsenenbildung als «Schlüssel zum 21. Jahrhundert» (17). Die «Lernende Gesellschaft» war in aller Munde (18). Die schweizerischen VHS sahen darin ihre Chance.

1997 fasste der Waadtländer Bildungsdirektor Pierre Cevey den kulturellen Wandel wie folgt zusammen:

«Die Zeiten, welche die meisten von uns noch erlebt haben, sind vorbei, da man in einer ersten Phase Kenntnisse erwarb, die für einen bestimmten Beruf gebraucht wurden, den man sein ganzes Leben lang ausüben konnte» (19). Die Globalisierung, führte er weiter aus, erzeuge Gewinner und Verlierer, man müsse am Ball bleiben.

2000 wurde der VSV mit länderübergreifenden Bildungsberichten wie der ersten PISA-Studie konfrontiert, die der Schweiz nicht nur gute Noten erteilten. «Der Weg zu einer lernenden Gesellschaft ist steinig», schrieb der Verband in seinem Jahresbericht 2000/01 (20). Er setzte sich ein nationales Weiterbildungsgesetz zum Ziel (21). Gleichzeitig sahen sich die Volkshochschulen einer verschärften Konkurrenz ausgesetzt; im Zeichen des lebenslangen Lernens war Weiterbildung zu einem interessanten Markt geworden.

Das Geschäftsjahr 2002/03 schloss mit einem Verlust von beinahe 130 000 Franken ab, trotz Bundessubventionen von 300 000 Franken und Mitgliederbeiträgen. Dies war der Preis für zahlreiche arbeitsintensive Initiativen des VSV.

Die VSV blieb beim Motto: «Wer nicht voranschreitet, geht zurück» (22). Der neue Präsident, der Waadtländer Bildungssekretär Fabien Loï Zedda, war überzeugt, «dass der Verband überleben und gestärkt aus der Krise hervorgehen wird» (23). Die Vorworte der Jahresberichte wurden nun von Bundesräten verfasst, die das Engagement der Volkshochschulen lobten. Bildung sei ein Entwicklungsprozess – die VHS leisteten hierzu einen wertvollen Beitrag. Fördergelder wurden gesprochen, insbesondere im Bereich der Grundkompetenzen und des funktionalen Analphabetismus (24).

2012 stellte sich die Existenzfrage erneut: Wozu ein VSV? Ein beträchtliches finanzielles Defizit und Kritik an ungenügenden Leistungen bedrohten ein weiteres Mal den Fortbestand des Verbands. Zwar waren weiterhin 80 VHS dem VSV angeschlossen, doch die Teilnehmerzahlen sanken. Während 1992 noch über 2 Millionen besuchte Kurstunden registriert wurden, waren es 2013 noch knapp 1,3 Millionen. Die personalintensive Geschäftsstelle und zahlreiche nationale und europäische Projekte vergrösserten das Loch in der Kasse. So konnte es nicht weitergehen (25).

2013 entschieden sich die Mitglieder im Rahmen einer ausserordentlichen Mitgliederversammlung für ein Verbandsmodell mit nur wenigen Zusatzaufgaben. Die Aktivitäten des Verbands wurden auf die Schweiz eingeschränkt (26). Zu seinen Aufgaben zählten jetzt:

  1. Interessenvertretung bei schweizerischen Organisationen wie dem SVEB, bei Behörden und in der Öffentlichkeit.
  2. Information der Mitglieder über die Weiterbildungspolitik des Bundes.
  3. Stärkung der Zusammenarbeit zwischen den Mitgliedern.
  4. Verbreitung der Bildungsidee der VHS.
  5. Beratung von Mitgliedern bei Programmgestaltung und Betriebsführung.

Qualitätsentwicklung und Weiterbildung der Kursleitenden wurden als Zusatzleistungen des VSV deklariert, die er mit Hilfe nun aufgabengebundener Unterstützungsbeiträge erbringen wollte.

In Folge dieser Neuorientierung wurde die Geschäftsstelle in Bern mit rund 600 Stellenprozenten aufgelöst. Die VHS Zürich führte das neue, reduzierte Sekretariat. Eine Teilzeit-Mitarbeiterin war nun für Kuration und Koordination der Weiterbildung der VHS-Dozentinnen und -Dozenten zuständig (27). Die administrativen Aufgaben wurden minimiert und von einzelnen VHS und Freiwilligen übernommen.

2016 stieg Phönix aus der Asche. Die Anzahl jährlich besuchter Kursstunden stieg auf 1,8 Millionen, viele Mitgliedschulen blühten.

2019 lanciert der VSV sein eigenes Qualitätslabel +vhs. Es setzt auf Qualitätszirkel, in denen mehrere VHS ihr Qualitätsmanagement gemeinsam evaluieren.

2020, im ersten Jahr der Covid-19-Pandemie mit nationalem Lockdown, spielt der VSV seine Rolle als Dachverband aus durch Beratung, Unterstützung und Weiterbildungsangebote für Kursleitende, die über Nacht auf online-Unterricht umsteigen müssen.

2021 baut der VSV die Geschäftsstelle in Zürich aus und engagiert weiteres Personal. Er richtet seine Aktivitäten stärker am Weiterbildungsgesetz von 2017 aus. Vor allem stärkt er sein Engagement für Grundkompetenzen, für Weiterbildung von Menschen ab 65 und für Bildung in Nachhaltigkeit. Er fördert das Qualitätsmanagement.

2023 erholen sich die Teilnehmerzahlen nach dem Pandemie-bedingten Einbruch.

2024 erreichen die Teilnehmerzahlen wieder den Stand von 2019; das sind fast 2 Mio. Das SBFI kündigt eine Verschärfung der Regeln für Finanzhilfen für den Weiterbildungssektor an. Künftig müssen die Empfängerorganisationen 40% der Mittel selbst aufbringen. Für den VSV und seine Mitglieder zeichnet sich damit eine neue Herausforderung ab.

Von der wissenschaftsnahen Vorlesung bis zum Tanzkurs: Zu Beginn der 1990er-Jahre betonte der VSV das vielfältige Angebot der VHS. Quelle: Jahresbericht 1990/91

Von der wissenschaftsnahen Vorlesung bis zum Tanzkurs: Zu Beginn der 1990er-Jahre betonte der VSV das vielfältige Angebot der VHS. Quelle: Jahresbericht 1990/91.

Wo befinden sich die VHS in der Schweiz und wer besucht sie? Statistische Daten des Jahres 1996/97 verzeichneten einen Rückgang bei Kursen, Kursorten, Kursstunden, Belegungen und Personenstunden. Quelle: Jahresbericht 1996/97, S. 2

Wo befinden sich die VHS in der Schweiz und wer besucht sie? Statistische Daten des Jahres 1996/97 verzeichneten einen Rückgang bei Kursen, Kursorten, Kursstunden, Belegungen und Personenstunden. Quelle: Jahresbericht 1996/97, S. 2.

Von der Kultur zur Wirtschaft, vom BAK zum SBFI

Bis 1992 war die Stiftung Pro Helvetia für die finanzielle Unterstützung der gesamtschweizerischen Organisationen der Erwachsenenbildung zuständig. Diese ging nun an das Bundesamt für Kultur BAK (damals noch Amt für kulturelle Angelegenheiten) im Eidgenössischen Departement des Innern über. Das New Public Management zog auf allen Stufen der Verwaltung ein.

1999 erschien der Bericht «Weiterbildung in der Schweiz: Situation und Empfehlungen» von Philipp Gonon und André Schläfli. Die Autoren beschrieben die kulturelle Erwachsenenbildung, die berufsbezogene Fortbildung sowie die karriereorientierte Weiterbildung als unterschiedliche, jedoch komplementäre Bereiche. Der Bericht kommt mit Blick auf die Kantone unter anderem zum Schluss, dass die Erwachsenenbildung in der Schweiz «wenig einheitlich» und «auf eine Vielzahl von Akteuren und Strukturen verteilt» sei (28).

Im Mai 2006 nehmen die schweizerischen Stimmberechtigten die neuen Bildungsartikel für die Bundesverfassung an. Darin wird die Schweiz neu als einheitlicher Bildungsraum definiert, gemeinsam gestaltet von Bund und Kantonen. Im Art. 64a heisst es: «Der Bund legt Grundsätze über die Weiterbildung fest» (29). Damit war die Basis für ein nationales Weiterbildungsgesetz gelegt. Nach hartem Ringen verabschiedeten die eidgenössischen Räte das Bundesgesetz über die Weiterbildung (WeBiG), das am 1. Januar 2017 in Kraft trat.

Das WeBiG verzichtet auf eine positive Umschreibung der Weiterbildung. Es versteht Weiterbildung ohne nähere Inhalte als nicht-staatliche und nicht-formale Bildung. Der Bund beschränkt die finanzielle Förderung der Weiterbildung auf den Erwerb und Erhalt von Grundkompetenzen Erwachsener. Dazu gehören Lesen und Schreiben, mündliche Ausdrucksfähigkeit in einer Landessprache, Alltagsmathematik und Anwendung von Informations- und Kommunikationstechnologien. Dabei setzt der Bund primär auf Fördermassnahmen in Spezialgesetzen, so zum Beispiel im Ausländergesetz, im Arbeitslosenversicherungsgesetz, im Berufsbildungsgesetz, im Invalidenversicherungsgesetz oder in der Sozialhilfegesetzgebung.

Die Umsetzung der Massnamen im Bereich Grundkompetenzen überlässt er den Kantonen, die er dafür zu maximal der Hälfte ihrer Aufwendungen subventioniert.

In Art. 4 des WeBiG sagt der Bund, worum es ihm geht:

«Der Bund verfolgt in der Weiterbildung gemeinsam mit den Kantonen die folgenden Ziele:

  1. die Initiative des Einzelnen, sich weiterzubilden, unterstützen;
  2. Voraussetzungen schaffen, die allen Personen die Teilnahme an Weiterbildung ermöglichen;
  3. die Arbeitsmarktfähigkeit gering qualifizierter Personen verbessern;
  4. günstige Rahmenbedingungen für die öffentlich-rechtlichen und die privaten Anbieterinnen und Anbieter von Weiterbildung schaffen;
  5. die Koordination der vom Bund und Kantonen geregelten und unterstützten Weiterbildung sicherstellen;
  6. die internationalen Entwicklungen der Weiterbildung verfolgen, die nationalen und internationalen Entwicklungen vergleichen und mit Blick auf ihre Wirksamkeit beurteilen». (30).

Das WeBiG bekräftigt einen Trend, der sich bereits zur Jahrtausendwende abgezeichnet hatte: Unterstützung gibt es vom Bund – und zunehmend von den Kantonen – nur noch für «nützliche» Leistungen in der Grundbildung oder für Sprachunterricht für Fremdsprachige, jedoch nicht mehr für wissenschaftlich-kulturelle Allgemeinbildung für Menschen jeden Alters und jeder Herkunft. Letztlich geht es um die Arbeitsmarktfähigkeit des Individuums, seinen ökonomischen Wert.

Das zeigt sich auch am Wechsel des Ansprechpartners für den VSV. Nicht mehr das Bundesamt für Kultur ist für die Unterstützung zuständig, sondern neu das Staatssekretariat für Bildung, Forschung und Innovation (SBFI) beim Eidgenössischen Departement für Wirtschaft, Bildung und Forschung.

Der VSV erhält noch Unterstützung für seinen Beitrag an die Entwicklung der Bildungspolitik, an die Qualitätssicherung und -entwicklung, die Digitalisierung sowie für einzelne Sonderaufgaben. Er ist neben dem Dachverband Lesen und Schreiben und dem SVEB eine von acht nach WeBiG subventionierten Organisationen.

Die übergreifenden Aktivitäten des VSV ändern nichts an der Typologie der Volkshochschulen. Letztere lassen sich in drei Kategorien unterteilen:

  1. VHS, die als professionelle Bildungsinstitutionen wahrgenommen und für ihre kulturellen Leistungen in der Regel von der öffentlichen Hand unterstützt werden – primär in den grösseren Städten.
  2. VHS, die auf Ehrenamtlichkeit basieren, primär Vereine in mittleren Städten und in Dörfern, die meistens kommunale Zuschüsse erhalten, oft auch von Nachbargemeinden. Sie sind wichtige Kulturträger.
  3. Die Corsi per adulti im Tessin, die kantonsweit sowie im bündnerischen Misox organisiert und in die staatliche Verwaltung eingegliedert sind (31).

Gemeinsam ist allen Volkshochschulen die Allgemeinbildung in Kultur, Wissenschaft, Politik, Gesundheit – angeboten in einer Vielfalt an Kursinhalten und Formaten.

Delegierte an der Mitgliederversammlung 2002 stimmen ab. Quelle: Archiv VSV, Schachtel 6

Delegierte an der Mitgliederversammlung 2002 stimmen ab. Quelle: Archiv VSV, Schachtel 6.

Aus Krisen – lernt man

Volkshochschulen sind nicht nur Orte des gemeinschaftlichen Lernens; sie sind auch lernende Organisationen. Die Jahre 2013 bis 2024 brachten gerade zwei Krisen, die der Verband und die Mitglieder nur dank gemeinsamen Anstrengungen, mit sehr viel Herzblut und staatlicher Hilfe meistern konnten.

Die erste fiel – zufällig? – mit der Neuausrichtung der Weiterbildung auf die Wirtschaft zusammen. 2013 wurde klar, dass der VSV über seine Verhältnisse lebte und die Reserven aufgebraucht waren. Christoph Reichenau, damals Vizepräsident, musste übernehmen und den Verband neu aufstellen: Auflösung der Geschäftsstelle in Bern, Reduktion der Aktivitäten, v.a. Ausstieg aus dem Sprachprüfungsgeschäft und radikaler Zusammenschnitt der internationalen Aktivitäten, Übertragung der operativen Tätigkeiten an den Vorstand. So gelang es, den VSV vor einem Konkurs zu retten und mit einem neuen Vorstand in die Zukunft zu führen.

Das Ergebnis wurde sichtbar anlässlich des 75-Jahr-Jubiläums, gefeiert 2018 in Grenchen, und im historischen Abriss «Bildung zur Vernunft», dessen Kern das «Analoge Manifest» bildet, ein Aufruf, Lernen als soziale Aktivität zu verstehen, als gemeinschaftliches Tun, und die Menschen zu einer kritischen Haltung gegenüber den technologischen Heilsversprechen zu erziehen. Eine Vision, die sich jetzt angesichts des Erlösungsanspruchs, der mit der Künstlichen Intelligenz an uns herangetragen wird, nochmals bewahrheitet.

So, neu belebt, traf der VSV auf die Covid-19-Pandemie. Hier konnte er seine Rolle als Dachverband richtig ausspielen durch Beratung, Unterstützung, Weiterbildungsangebote für Kursleitende, die über Nacht auf online-Unterricht umsteigen mussten, Knowhow-Transfer und Austausch mit anderen Dachverbänden.

Beide Krisen verdeutlichten, wie wichtig der Verband ist, um der Idee Volkshochschule eine Zukunft zu geben. Die Lehren sind, dass die Geschäftsstelle eine minimale Grösse haben muss, um Dienstleistungen für die Mitglieder zu erbringen, aber auch, dass eine stärkere Ausrichtung der Mitglieder auf bildungspolitische Prioritäten unerlässlich ist, um den Volkshochschulen und der allgemeinen Erwachsenenbildung im Bildungsraum Schweiz Gehör zu verschaffen.

Die Erneuerung der Volkshochschulen –
Interview mit dem ehem. Präsidenten Christoph Reichenau

Was hat sich seit der Einführung des Weiterbildungsgesetzes geändert? Wie sieht die Zukunft der VHS in der Schweiz aus? Welche Aufgabe kommt dabei dem VSV zu? Drei Fragen an den Verbandspräsidenten Christoph Reichenau, gestellt am 2. Mai 2018

Was hat sich seit der Einführung des Weiterbildungsgesetztes am 1. Januar 2017 für den VSV verändert?

Der VSV und die Volkshochschulen werden wahrgenommen. Und zwar mit den zwei Standbeinen Allgemeinbildung und Grundkompetenzen. Durch die kulturell-wissenschaftliche Allgemeinbildung bringen wir eine Qualität in die Weiterbildungslandschaft, die es sonst nicht gibt. Das Engagement der VHS zugunsten der Grundkompetenzen dreht sich um Fähigkeiten wie Schreiben, Lesen, IKT-Kenntnisse, Mathematik. Bundesmittel fliessen allerdings nur hier. Verbal ist viel Goodwill für die Allgemeinbildung vorhanden, finanziell aber nur für die Grundkompetenzen. Momentan wird der VSV mit 204 000 Franken im Jahr subventioniert (siehe voranstehenden Text). Der VSV erfüllt dafür bestimmte Aufgaben, die in einer Leistungsvereinbarung festgehalten sind. Dazu gehören in der Periode 2017–2020 neben der VSV-internen Weiterbildung für Dozierende und administrativ Tätige zum Beispiel die Durchführung eines Pilotprojekts für aufsuchende Bildungsarbeit durch Bildungsbotschafter, die Ausarbeitung eines Berichts über die Zukunft der Grundbildung und die Befassung mit Bildungsbedürfnissen der Menschen im Alter 65+. Die meisten dieser Aufgaben verlangen den Einbezug von Mitgliedern.

Die VSH sind humanistisch ausgerichtet. Der Markt will Kompetenzen, das Weiterbildungsangebot funktioniert nach marktwirtschaftlichen Prinzipien. Wie begegnen die VHS diesen Gegensätzen?

VHS erbringen eine Leistung, die mehr und mehr verteidigungsbedürftig zu sein scheint, die aber die ganz ursprüngliche Idee von Erwachsenenbildung – das Wort gibt es kaum mehr, alles ist «Weiterbildung» – vertritt. Wir stehen ein für das zweckfreie Wissen. Im Zentrum steht das Interesse der Leute, etwas besser verstehen zu können, einen Sachverhalt oder Fachbereich zu durchdringen beziehungsweise schlicht aus Freude zu verstehen. Man muss nicht mit allem Wissen beruflich oder ausserberuflich direkt etwas anstellen können.

Je grösser allerdings eine VHS ist, desto eher tut eine VHS gut daran, im Grundkompetenz-Bereich Leistungen für die Gesellschaft zu entwickeln. Nebst Schreiben, Lesen, IKT und Mathematik gehören auch alle möglichen Kommunikationskompetenzen dazu. Hier können Konkurrenten zu Partnern werden.

Was sind die Funktionen des VSV in der Gegenwart – und in Zukunft?

Der Verband muss Treuhänder sein für alle VHS. Dies gilt auch für VHS in Kantonen, in denen VHS keine öffentliche Unterstützung mehr kriegen. Die VHS müssen mit unserer Unterstützung qualitativ gute Arbeit leisten können. Wir diskutieren gegenwärtig, wie wir die Qualität sichern und zertifizieren wollen. Dies kann ein anerkanntes oder auch ein VSV-Label sein. Es geht dabei nicht um Geld, sondern um Qualität.

Auf der nationalen Ebene müssen wir versuchen, die Weiterbildung in Grundkompetenzen zu individualisieren. Das heisst, dass nicht die Person zum Kurs passen muss, sondern umgekehrt. Zuerst sollen zusammen mit den Interessierten Ziele definiert und schliesslich ein Bildungsplan erstellt werden. Im Idealfall kann dieser an VHS umgesetzt werden, vielleicht auch an anderen Orten. Es geht uns also im Bereich der Grundkompetenzen um das Prinzip: «Weg von der Norm, hin zum Individuum.»

Im Bereich der kulturellen Allgemeinbildung werden unsere Mitglieder weiterhin die angestammten Bildungsformate nutzen. Wir finden erstaunlicherweise immer gute Leute, die dies auch für einen bescheidenen Lohn machen! An einer VHS kann jeder seine Passion, seine Idee, einbringen – natürlich mit einem Minimum an methodischer Befähigung. Deshalb ist die Qualitätsdiskussion zentral. VHS geben damit auch den vielen unbekannten Spezialisten eine Plattform für kulturelle Vermittlung.

Christoph Reichenau

Präsident von 2013–2021: Christoph Reichenau

Verbandspräsidenten

Portrait Adolf Portmann

1944–1954
Adolf Portmann
Professor für Zoologie in Basel, 1938–1964 Präsident der VHS Basel.

Adolf Portmann

Portrait Hermann Weilenmann

1955–1964
Hermann Weilenmann
Ökonom, gleichzeitig Direktor der VHS Zürich 1928–1964 (vorher Sekretär ebenda).

Hermann Weilenmann

Portrait Karl Fehr

1965–1968
Karl Fehr
Altphilologe und Germanist, Gymnasiallehrer, Privatdozent.

Karl Fehr

Portrait Jean-Marie Möckli

1968–1976
Jean-Marie Moeckli
Altphilologe, gleichzeitig Generalsekretär der VHS Jura (1956–1991).

Jean-Marie Möckli

Portrait Anton Lindgren

1976–1980
Anton Lindgren
Naturwissenschaftler, Didaktiker, gleichzeitig Direktor VHS Bern (1971–1983).

Anton Lindgren

Portrait Roland Ris

1980–1982
Roland Ris
Germanist, Professor für deutsche Sprache und Literatur in Bern und an der ETH Zürich.

Roland Ris

Portrait Robert  Schneebeli

1983–1992
Robert Schneebeli
Historiker und Anglist, gleichzeitig Direktor der VHS Zürich (1966–1992).

Robert Schneebeli

Portrait Urs Hochstrasser

1993–1996
Urs Hochstrasser
Mathematiker, Physiker, Informatiker, Direktor Bundesamt für Bildung und Wissenschaft (1969–1989), gleichzeitig Präsident Berner Volkshochschulverband (ab 1989).

Urs Hochstrasser

Portrait Pierre  Cevey

1997–2003
Pierre Cevey
Ökonom, Staatsrat Kanton Waadt (1984–1994).

Pierre Cevey

Portrait Loï Zedda

2004–2012
Fabien Loï Zedda
Altphilologe, vormals Direktor der VHS Lausanne, Generalsekretär des Bildungsdepartements Waadt.

Loï Zedda

Portrait Christoph Reichenau

2013–2021
Christoph Reichenau
Fürsprecher, vormals Präsident der  VHS Bern, stellvertretender Direktor des Bundesamts für Kultur (1997–2003) und Kultursekretär der Stadt Bern (2003-2008).

Christoph Reichenau

Portrait Pius Knüsel

2021–
Pius Knüsel
Journalist, vormals Direktor der Schweizer Kulturstiftung Pro Helvetia (2002–2021), anschliessend Direktor der Volkshochschule Zürich bis 2021.

Pius Knüsel

Fussnoten

  1. Montanari Häusler 2011, S. 29–36.
  2. Montanari Häusler 2011, S. 36.
  3. Wittpoth 2013, S. 28; Montanari Häusler 2011, S. 34.
  4. Montanari Häusler 2011, S. 32.
  5. Mattsmüller 1976, S. 343f.
  6. Staatsarchiv Zürich, Ablieferung Stiftung VHS des Kantons Zürich, Zeitschrift «Volkshochschule».
  7. Mattmüller 1976, S. 346.
  8. Weilenmann 1944a, S. 8.
  9. Statistische Angaben: Staatsarchiv Zürich, Ablieferung Stiftung VHS des Kantons Zürich, Zeitschrift «Volkshochschule», 1945/4, S. 123.
  10. Nationale Schweizerische UNESCO-Kommission, in: Schweizerische Lehrerinnenzeitung, 1951, S. 329.
  11. Montanari Häusler 2011, S. 100–103, Jahresberichte VSV 1965/66 bis 1968/69.
  12. Entwicklung anhand der Jahresberichte VSV 1970/71–1979/80.
  13. https://www.bak.admin.ch/bak/de/home/themen/kulturfoerderungsgesetz/geschichte-der-bundesstaatlichen-kulturfoerderung.html#-1964039506
  14. Clottu 1975, S. 401.
  15. Jahresbericht VSV 1978/79, S. 3 f.
  16. Jahresbericht VSV 1984/85, S. 5–8 (Der VSV-Präsident Robert Schneebeli hält in diesem Jahresbericht eine kritische Rückschau auf die Verbandsgeschichte).
  17. UNESCO-Institut für Pädagogik, S. 1.
  18. Sowohl der Diskurs zum lebenslangen Lernen als auch das Argument, dass die VHS deswegen Zukunft hätten, wurden seit den 1960er-Jahren gepflegt, siehe Jahresberichte oder Montanari Häusler 2011, S. 40.
  19. Jahresbericht VSV 1996/97, S. 11.
  20. Jahresbericht VSV 2000/01, S. 4.
  21. Jahresbericht VSV 2002/03, S. 6; für die Entwicklung siehe Jahresberichte1997/98–2001/02. Im Verlauf der 1990er-Jahre waren bereits erste kantonale Erwachsenenbildungs- bzw. Weiterbildungsgesetze in Kraft getreten, siehe auch Montanari Häusler, S. 42–48.
  22. Jahresbericht VSV 2003/04, S. 10.
  23. Jahresbericht VSV 2003/04, S. 5.
  24. Jahresbericht VSV 2010/11, Vorwort von Bundesrat Didier Burkhalter, S. 1. Hinweise zu Unterstützung siehe Jahresrechnungen.
  25. Jahresbericht VSV 2011/12, Jahresbericht Fabien Loi Zedda.
  26. Privatarchiv Christoph Reichenau, verschiedene Dokumente aus dem Jahr 2013; Gespräch mit Christoph Reichenau zu Gegenwart und Zukunft der VHS vom 2. Mai 2018.
  27. Gespräch mit Christoph Reichenau zu Gegenwart und Zukunft der VHS vom 2. Mai 2018.
  28. Schläfli/Gonon 1999.
  29. https://www.fedlex.admin.ch/eli/cc/1999/404/de
  30. WeBiG, Art. 4.
  31. Gespräch mit Christoph Reichenau zu Gegenwart und Zukunft der VHS vom 2. Mai 2018.

Literatur

  • Clottu, Gaston et al.: Beiträge für eine Kulturpolitik in der Schweiz. Bericht der eidgenössischen Expertenkommission für Fragen einer schweizerischen Kulturpolitik. Bern 1975.
  • Dominicé, Pierre; Finger, Matthias, avec la collaboration de Christine Gardiol Gutierrez: L’éducation des adultes en Suisse. Zürich 1990.
  • Furrer, Hans: Erwachsenenbildung. In: Historisches Lexikon der Schweiz (HLS), http://www.hls-dhs-dss.ch/textes/d/D13912.php; Version vom 15.11.2005.
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