4. Zertifikate und Computerkurse

Der gesellschaftliche Wandel sowie Film, Radio und Fernsehen rüttelten am Selbstverständnis der VHS, die vor allem allgemeinbildende Vorlesungen und Kurse anboten. Die Zeit der Zertifikate und der Vermittlung von Inhalten über Radio und Fernsehen war angebrochen. Wenn die VHS ihre Position wahren und weiterhin durch nationale Förderbeiträge begünstigt werden wollten, mussten sie Teil dieser neuen Entwicklung sein.

Der VSV förderte die Entwicklung von deutschsprachigen Volkshochschul-Zertifikatskursen und nahm an der International Certificate Conference (ICC) teil. Die Prüfungen wurden unter Leitung des Deutschen Volkshochschulverbands zusammen mit Österreich durchgeführt und zertifizierten Kenntnisse in Englisch, Spanisch, Russisch, Mathematik oder anfänglich gar Elektrotechnik. Im Geschäftsjahr 1971/72 traten in der Schweiz 120 Kandidatinnen und Kandidaten zu den Prüfungen an, ein Jahr später 331, 1978/79 insgesamt 740. Ein Jahrzehnt später war die 1000er-Marke geknackt.[1]

Vor allem für die Sprachen etablierten sich die Zertifikate, die heute international normiert sind.[2]Die VHS hatten damit nebst den Kursen, die aus reiner Freude an der Thematik besucht wurden, ihr zweites Standbein gefunden. Menschen sollen durch die zertifizierten Fähigkeiten «marschtüchtig erhalten» werden, war auch Mitte der 1980er-Jahre die Überzeugung.[3]Eine zentrale Rolle dabei spielte die Weiterbildung des Lehrpersonals insbesondere in den Sprachfächern. Deshalb führte der VSV Dozententagungen zu didaktischen und fachlichen Themen durch.[4]

Der VSV professionalisierte sich ab 1970 zunehmend, zum Beispiel mit der Verbandsstatistik, die ab 1974 publiziert wurde. Alle Mitglieder mussten davon überzeugt werden, ihre Zahlen zu liefern. Dies war mitunter nötig, um gegenüber grossen Geldgebern wie Pro Helvetia als Grossinstitution aufzutreten.[5]Im Geschäftsjahr 1977/78 überschritten die Volkshochschulen die «Millionengrenze» bei den Personenstunden, also dem Total absolvierter Kursstunden.[6]

Die VHS gingen auch mit den elektronischen Medien neue Wege. 1979 wurden unter anderem in Kooperation mit dem VSV am Schweizerischen Fernsehen und Radio ein Englischkurs namens «Follow-me» gesendet und parallel dazu Kurse unterrichtet. Der VSV-Präsident und Direktor der Berner VHS, Anton Lindgren, schrieb zu diesem Angebot mit 1945 Teilnehmenden selbstbewusst:

«Erstmals wurden die Volkshochschulen der Schweiz auf dem Bildschirm und am Radio als derTräger der Erwachsenenbildung und wegen ihres öffentlichen Charakters einzig mögliche Partner von Radio und Fernsehen weiten Teilen der Bevölkerung vorgestellt.»[7]

Neue Technologien fanden ihren Niederschlag auch im Kursprogramm. Der VSV diskutierte ab 1983 Möglichkeiten für Kurse in Public Relations oder Informatik. Ein Jahr später wurden erste Computerkurse durchgeführt und ein Informatikzertifikat lanciert.[8]Fest etablierten sich die Computerkurse jedoch erst Mitte der 1990er-Jahre, gefördert unter anderem durch Urs Hochstrasser, ehemaliger Direktor des Bundesamtes für Bildung und Wissenschaft, der bereits in den 1960er-Jahren im Bereich Informatik geforscht hatte.[9]Zu diesem Zeitpunkt hatten zahlreiche VHS Räume technisch so ausgestattet, dass Kurse durchgeführt werden konnten. In der neuen Verbandszeitschrift «Gazzetta» war 1996 zu lesen:

«Es ist tatsächlich so! Mit den Computerkursen im blitzneuen Informatikraum der Sekundarschule Riggisberg haben wir den Durchbruch geschafft. Wir sind nun nicht mehr nur der elitäre Klub, der Kurse für zu wenig beschäftigte Hausfrauen mit besserer Schulbildung anbietet».[10]

Links

Das Titelblatt des Jahresberichts 1985/86: In den 1980er-Jahren fanden an den VHS erste Computerkurse statt. Quelle: Archiv VSV

Unten

Ein Bild der Mitgliederversammlung 2002 von Anton Lindgren; bemerkenswert ist die Korrektur in der Legende. Sowohl Anton Lindgren (Präsident VSV 1976 bis 1980 und Direktor der VHS Bern) als auch Robert Schneebeli (Präsident VSV 1983–1992 und Direktor der VHS Zürich) prägten die Schweizer Erwachsenenbildung der 1970er- und 1980er-Jahre. Quelle: Archiv VSV, Schachtel 6

VSV, Verband der Schweizerischen Volkshochschulen

Fussnoten

[1] Entwicklung anhand der Jahresberichte VSV 1970/71–1979/80; zur Geschichte der ICC und der Volkshochschul-Zertifikate vgl. auch Jahresbericht VSV 1984/85, S. 14. Zur Entwicklung des Zertifikatswesens siehe auch Montanari Häusler 2011, S. 42.
[2] Bis in die 2000er-Jahre koordinierte der VSV die Prüfungen in den VHS-Prüfungszentren. Siehe z.B. Jahresbericht 2005/06, in dem über die steigende Anzahl der A1-Tests berichtet wird.
[3] Jahresbericht VSV 1986/87, S. 5.
[4] Jahresbericht VSV 1978/79, S. 3 f. Hier wird von der Englischlehrer-Tagung berichtet, die zu diesem Zeitpunkt bereits «zu einer sehr geschätzten Tradition geworden» sei. Ab Mitte der 1980er-Jahren kümmerte sich die «Kommission Pädagogik»um das Weiterbildungsangebot für Dozierende.

[5] Erste Statistik in «Volkshochschule»1/1976. Die Förderbeiträge durch Pro Helvetia stiegen in den 1970er-Jahren an: 1974/75 waren es 126 000 Franken, 1977/78 150 000. Zehn Jahre später wurde der VSV durch den Bund mit 333 000 Franken unterstützt, wobei – wie bereits zuvor – rund 70% der Gelder für die Mitglieder, also die einzelnen VHS, bestimmt war (siehe Jahresberichte, Dominicé/Finger 1990, S. 31).
[6] Anton Lindgren im Jahresbericht VSV 1977/78, S. 4.
[7] Jahresbericht VSV 1979/80, S. 5.
[8] Jahresberichte VSV 1983/84, S. 13 f.
[9] Vgl. Jahresbericht 1994/95, zur Vita Hochstrasser 1996 oder Weibel 2005.
[10] Gazzetta vhs/up 5/1996, S. 2.