2. Endlich ein Verband!

Die VHS in Basel, Bern und Zürich hatten sich in einer Rekordzeit organisiert. Semester für Semester wurden Vorlesungen, Kurse und Vorträge angeboten. Das Zielpublikum – die Arbeiterschaft – war jedoch skeptisch gegenüber den kulturellen und wissenschaftlichen Institutionen. Dennoch etablierten sich die Volkshochschulkurse, seit Beginn nahmen viele Frauen deren Angebote in Anspruch. [1]

Bereits Anfang der 1920er-Jahre, wahrscheinlich 1923, fand eine erste Schweizerische Volkshochschultagung statt. Hier tauschten sich die Direktoren der Institutionen über Inhalte und Weiterbildung aus und beschlossen 1926, eine schweizerische Volkshochschulzeitschrift zu begründen. 1929 legte der Zürcher Direktor Hermann Weilenmann einen Statutenentwurf für einen Verband vor. Er stiess damit allerdings auf Skepsis; auch die Zeitschrift kam schliesslich nicht zustande. Das Vorhaben eines nationalen Volkshochschulverbands wurde zurückgestellt. [2]

Weilenmann behielt das Ansinnen eines nationalen Verbandes jedoch im Kopf. Ab 1932 publizierte die VHS Zürich unter dem Titel «Volkshochschule» eine Zeitschrift, die durch den Verein zur Förderung der Volkshochschule des Kantons Zürich (heute Verein zur Förderung der Volkshochschule Zürich) herausgegeben wurde. Primär diente diese monatlich oder zweimonatlich erscheinende Zeitschrift der Kommunikation von Fachinhalten, Zürcher Kursen oder Jahresberichten. Sie enthielt aber auch nationale Nachrichten – dies insbesondere ab Beginn des Zweiten Weltkriegs, als Weilenmann in verschiedenen Landesteilen Reden über die Volksbildung in der Schweiz hielt. [3]

Schlüsseljahr für die Gründung des Verbands dürfte 1942 gewesen sein. Im April referierte Weilenmann bei der nationalkonservativen Neuen Helvetischen Gesellschaft in Aarau über die Leistung verschiedener VHS und verglich dabei «seine» Institution mit den Volksbildungsheimen, die sich – anders als die VHS – schon im ganzen Land «zu länger dauernder Zusammenarbeit» zusammengetan hätten.[4] Als Volksbildungsheim wurde vor allem der «Herzberg» bei Aarau bekannt, der Kurse veranstaltete, deren Teilnehmer er gleichzeitig beherbergte. [5]Der «Herzberg» geht auf eine Initiative des thurgauischen Volkserziehers Fritz Wartenweiler (1889–1985) zurück, der sich vom dänischen Konzept der Heimvolkshochschulen inspirieren liess.

Gemäss Historiker Hanspeter Mattmüller veranstalteten die VHS 1942 nach 1929 die erste schweizerische Tagung, die ganz im Zeichen der Neutralitätsdebatte und der Geistigen Landesverteidigung stand. Die VHS sollen «auf die vernünftige und gemeinschaftsbezogene Lebensgestaltung des Einzelnen» abzielen. [6] Die Gründung eines Verbands, der die Gemeinsamkeiten der Institution VHS betonte, schien in Zeiten der existenziellen Bedrohung von aussen unumgänglich.

Am 30. Januar 1943 fand die konstituierende Versammlung des VSV statt. Präsident wurde der Basler Direktor und Zoologieprofessor Adolf Portmann, die Geschäftsstelle befand sich in Zürich bei Hermann Weilenmann. An einem Vortrag in Genf im November betonte dieser: «Wir brauchen ein geistig reges Volk.» Dies war zweifelsohne Hauptmotivation für die Verbandstätigkeit, die bald auch von der 1939 gegründeten Schweizer Kulturstiftung Pro Helvetia unterstützt wurde.

Die Stiftung sprach Gelder für die Gründung verschiedener Volkshochschulen und auch eine erste Publikation, ein Resümee mit dem Titel «Die Schweizerischen Volkshochschulen 1944». [7] Darin erklärt Weilenmann seine Absicht der VHS explizit:

«[…] und wenn es einmal in allen Landesteilen und in den abgeschlossensten Gemeinden VHS gibt, so ist vieles getan, um in unserem Volk das Bewußtsein seiner Eigenart zu vertiefen und es fähig zu machen, die politischen und sozialen Probleme, vor die es nach diesem Kriege gestellt sein wird, aus eigener Kraft zu lösen.» [8]

Die Motivation, mit den VHS die Mündigkeit der Staatsbürgerinnen und -bürger zu fördern, wird in diesem Zitat offenkundig. [9] Die erste ordentliche Mitgliederversammlung des VSV fand am 8. Juli 1944 in Zürich mit 11 anwesenden Mitgliedern statt. Bis zum Ende des Jahrs zählte der Verband 53 Mitglieder, die im Jahr 1944 insgesamt 444 Kurse für über 43 000 Teilnehmer durchführten. [10]

Der Volksbildungsgedanke der wachsenden Institutionen wurde nicht überall goutiert. Denn die VHS hatten den Ruf, einem «Intellektuellenfimmel» erlegen zu sein. So äusserte sich ein Leserbriefschreiber zur Gründung der VHS in Weinfelden 1944 wie folgt:

«Es ist ja ein Zeichen unserer Zeit, mehr wissen zu wollen, als dem Geist bekömmlich ist und dem beruflichen Leben nichts nützt. […] Ein altes, träfes Sprichwort sagt: ‘Schuster, bleib bei deinen Leisten’, aber heute macht es dem Schuster nichts aus, über Theaterkunst zu sprechen, und der Seifensieder hausiert mit Sexualproblemen, während das Dienstmädchen Rosalie, welches noch nicht recht kochen kann, sich gerne über Kants ‘Kritik der reinen Vernunft’ unterhält, wobei natürlich mehr die Unvernunft zum Ausdruck kommt.» [11]

Die Zeitschrift «Volkshochschule» druckte diese Kritik aus dem Thurgau ab mit der Bemerkung: «Die Argumente, welche der Verfasser gebraucht, sind die gleichen, die in den dreißiger Jahren des 19. Jahrhunderts gegen die Einführung der Volksschule vorgebracht worden sind. Sie sind unausrottbar und haben daher einen gewissen Kuriositätswert.» [12]

Verband der Schweizerischen Volkshochschulen

Die erste Verbandspublikation hatte eine bescheidene Aufmachung. Die Worte darin sind jedoch gewichtig: Der Initiant des Verbands, Hermann Weilenmann, erläutert die Bedeutung der Erwachsenenbildung für die Demokratie. Quelle: Weilenmann 1944a

Kein Verband ohne «offizielles Organ». Das Heft «Volkshochschule» wurde durch den Verein zur Förderung der VHS des Kantons Zürich herausgegeben und enthielt primär Fachartikel, publizierte jedoch auch Verbandsneuigkeiten. Quelle: Weilenmann 1944a, S. 36

Fussnoten

[1] Montanari Häusler 2011, S. 35.
[2] Mattmüller 1976, S. 343f.
[3] Staatsarchiv Zürich, Ablieferung Stiftung VHS des Kantons Zürich, Zeitschrift «Volkshochschule».
[4] Staatsarchiv Zürich, Ablieferung Stiftung VHS des Kantons Zürich, Zeitschrift «Volkshochschule», 1943/4, S. 122.
[5] Grunder 2015.
[6] Mattmüller 1976, S. 346.

[7] Weilenmann 1944a.
[8] Weilenmann 1944a, S. 8.
[9] Weilenmann verfasste eine grosse Zahl an Reden zum Thema der Volksbildung, siehe Nachlass in der Zentralbibliothek Zürich, bes. 4. 1943 referierte er an der Genfer Universität und überzeugte von der Idee der Volksuniversität, siehe Weilenmann 1944b.
[10] Statistische Angaben: Staatsarchiv Zürich, Ablieferung Stiftung VHS des Kantons Zürich, Zeitschrift «Volkshochschule», 1945/4, S. 123.

[11] Staatsarchiv Zürich, Ablieferung Stiftung VHS des Kantons Zürich, Zeitschrift «Volkshochschule», 1944/1, S. 28.
[12] Staatsarchiv Zürich, Ablieferung Stiftung VHS des Kantons Zürich, Zeitschrift «Volkshochschule», 1944/1, S. 28.