Editorial: Der VSV und das Weiterbildungsgesetz

Anfang 2017 ist das Bundesgesetz über die Weiterbildung (WeBiG) in Kraft getreten. Es fusst auf Artikel 64a der Bundesverfassung. Dieser bestimmt: Der Bund legt Grundsätze über die Weiterbildung fest und kann diese fördern.

Das WeBiG ist ein Meilenstein. Es ergänzt den Kindergarten und die obligatorische Schule, die Sekundarstufe (Gymnasien und berufliche Grundbildung) sowie die Tertiärstufe (Höhere Berufsbildung, Fachhochschulen, pädagogische Hochschulen, Universitäten und ETH) durch Regeln für den vielfältigen Bereich der Weiterbildung.

Wir haben lange auf das WeBiG gewartet. Es bringt Gutes. Für mich das Wichtigste ist der Abschnitt zum Erwerb und Erhalt von Grundkompetenzen Erwachsener. Grundkompetenzen sind grundlegende Kenntnisse und Fähigkeiten

  • in Lesen und Schreiben sowie mündlicher Ausdrucksfähigkeit in einer Landessprache (dabei ist die Abgrenzung vom Kampf gegen den Illettrismus unklar)
  • in Alltags-Mathematik
  • in der Anwendung von Informations- und Kommunikationstechniken.

Das WeBiG bezeichnet die Grundkompetenzen als Voraussetzungen für lebenslanges Lernen. Allerdings bleibt offen, worin genau die diese Kompetenzen bestehen. Ebenso verzichtet der Bund auf eigene Fördermassnahmen; er beschränkt sich darauf, jene der Kantone finanziell zu unterstützen.

Zu begrüssen ist auch die Möglichkeit des Staatssekretariats für Bildung, Forschung und Innovation (SBFI), mit gesamtschweizerischen Organisationen – wie dem VSV – vierjährige Leistungsvereinbarungen für bestimmte Arbeiten zu Gunsten der Weiterbildung abzuschliessen. Sowohl für die Förderung von Grundkompetenzen als auch für die Unterstützung von Organisationen der Weiterbildung regelt die Weiterbildungsverordnung des Bundesrats (WeBiV) das Nähere.

Doch die WeBiV, der Ausführungserlass für das Gesetz, weist Lücken auf. Sie schweigt sich darüber aus:

  • welche Stellen in welcher Weise die Qualitätssicherung und Qualitätsentwicklung in der Weiterbildung verantworten;
  • und welche Organe die Kriterien für die Anrechenbarkeit informeller Bildungsleistungen an die formale Bildung festlegen und für die Transparenz in der Weiterbildung sorgen sollen.

Als Lücke empfinde ich weiter, dass nach Auflösung des Forums Weiterbildung eine Organisation fehlt, in der die Verbände der Weiterbildung mit dem SBFI und den Kantonen gemeinsam den Quartärbereich des Bildungssystems weiterentwickeln. Eine wichtige Aufgabe dieser neu zu gründenden Organisation müsste es sein, bei der Anpassung der Spezialgesetzgebung des Bundes an die Grundsätze des Weiterbildungsgesetzes mitzuwirken. Dabei stehen drei Gesetze im Vordergrund: das Berufsbildungsgesetz, das Gesetz über die Arbeitslosenversicherung, das Ausländergesetz. In ihnen geht es um Fragen, auf welche die Weiterbildung Antworten hat. Die Mitglieder des VSV bestehen klar auf der Notwendigkeit einer nationalen Konferenz, die das Weiterbildungssystem in unserem Land gesamthaft betrachtet, koordiniert und fortentwickelt.

Für die Umsetzung des WeBiG stehen dem SBFI von 2017 bis 2020 insgesamt 25,7 Millionen Franken (oder 6,425 Millionen pro Jahr) zur Verfügung. Das ist nicht einmal ein Promille der total 26,387 Milliarden Franken, die der Bund in derselben Periode für Bildung, Forschung und Innovation ausgibt.

Dieser Anteil zeigt, was im WeBiG steht: „Der einzelne Mensch trägt die Verantwortung für seine Weiterbildung“. Anders gesagt: Weiterbildung ist nice to have. Da hilft alles Schwadronieren über den Rohstoff Bildung, die Bedeutung des lebenslangen Lernens, die Verbesserung der Arbeitsmarkfähigkeit gering qualifizierter – auch älterer – Personen nichts: Die Zahl sagt alles. Sie sagt: Rechnet nicht mit dem Bund.

Womit der VSV rechnet und was er von 2017 bis 2020 mit den Volkshochschulden tun will, schildern wir im nächsten Editorial.

Christoph Reichenau